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Buchbinders Aufnahmen der Beethoven Klaviersonaten 1979 bis 1981 ist wild, ungestüm, fordernd, reißend, "flashend": Von den vielen meiner Beethoven-Klaviersonatenaufnahmen ist diese, die mir einer ideellen Vorstellung von Beethovens Mentalität am meisten entspricht. Dennoch werden ruhige Passagen ruhig, langsame Passagen langsam durchgeführt (dritter Satz der Hammerklaviersonate mit über 20 Minuten wird unter den über drei Dutzend mir bekannten Beethoven-Klaviersonatenaufnahmen eigentlich, - abgesehen von der grottenschlechten und anödendsten Aufnahme ever Korsticks -, nur mehr von Barenboim übertroffen). Ich schätze Aufnahmen, die das Werk "gegen den Strich bürsten": Bei Buchbinder ist so ein Strich schwer festzumachen, nicht in dem Sinn, daß dabei eine Kritzelei resultiert, sondern, daß Buchbinder selbst der Strich ist. Es ist schwer zu beschreiben, aber es ist eine der wenigen Aufnahmen der Beethoven-Klaviersonaten, wo man nicht den reproduzierenden Künstler im Vordergrund denkt, sondern der reproduzierende Künstler mit seinem Produkt quasi homogen vorliegt, das Reproduzierte zum Produzierten an sich wird, ohne, daß der Produzent selbst bemerkbar ist (zumindest kommt mir das so vor, diesen Eindruck muß jemand anderes natürlich nicht haben). Indem Buchbinder so in den Hintergrund tritt, und eigentlich nur pure Beethoven-Klaviersonaten da sind, wird das natürlich zum Merkmal der Buchbinderschen Interpretation, denn die Aufnahmen bleiben dennoch eine Interpretation eines Interpretandums, also "den Klaviersonaten", durch das Interpretans, also "dem Pianisten Buchbinder". Insofern ist das alles also auch raffiniert, wenn auch sicher unbeabsichtigt.Ich denke, so kompliziert muß es nicht sein, die Interpretation Buchbinders zu interpretieren: Es ist der archivisch dokumentierte Hall (ein sich spiegelnder Klang - ein "seitenverkehrtes" Echo?) einer freien Zeit, wo Freiheit auch in der Interpretation klassischer Musik umgesetzt wurde, und nicht eine camouflierende Worthülse für die andere und heutzutage eigentliche Begriffsidentität "-Losigkeit" (sic!) war. Buchbinder sprengt mit seiner alten Einspielung Grenzen des Sich-Beethoven-Denkens, die er selbst später auch nicht mehr wirklich anzurühren wagte, - oder nicht konnte -, da sich die Zeiten (in die Gegenwart) geändert haben. Beethoven (und natürlich nicht nur der) wird gegenwärtig weitgehend absatzkonform gespielt, um Gewinnmaximierungskriterien gerecht zu werden. Es wurde auch eine quasi-polare Verortung zur Orientierung in einer Gegenwart verloren, in der alles grenzenlos ist, - und darin alles begrenzt, in der die Eindeutigkeit zur Zweideutigkeit diffamiert wird, um einer Vieldeutigkeit Vorschub zu leisten. Wie soll man interpretieren, wo die Determinanten zum Interpretieren fragmentieren? Aber vielleicht kann man Beethoven auch nicht mehr viel anders spielen, da zwischen Schnabel, Backhaus und (frühen) Kempff, Gulda und Badura-Skoda, Ashkenazy und (frühen) Barenboim, Gilels und (frühen) Buchbinder, eigentlich alles über Beethovens Klaviersonaten gesagt/gespielt wurde, das es über Beethovens Klaviersonaten zu sagen/spielen gab: Vielleicht fällt deshalb rezenten Interpreten nichts mehr zu Beethoven ein (außer eventuell Kovacevich…).Was Buchbinders Virtuosität angeht: Was soll man (also ich) sagen? Ich bin ja eigentlich kein Buchbinder-Fan, aber natürlich weiß ich (auch aus der Erfahrung von Live-Erlebnissen), daß Buchbinder ein Pianist einer Liga ist, die aus welchen Gründen immer, nie in der allerersten Reihe spielen, obwohl kein Unterschied zwischen dieser - seiner - Liga, und der allerersten Liga bemerkbar ist. Und so kommt man auf die leicht verschwörungstheoretisch-paraparanoide Idee, daß es unter Umständen doch an defizienten Management, weniger aggressiven Marketing, oder einfach an richtiger Zeit am falschen Ort liegen mag, daß Buchbinder nicht im selben Atemzug mit seinem ungleich weltberühmteren, aber eigentlich bei weitem nicht so brillanten Landsmann Brendel genannt wird. Buchbinders Spiel erinnerte mich in manchen - weiten - Teilen an die Virtuosität Glenn Goulds, ohne dessen offensichtliches Desinteresse an Beethoven (was ich Gould aber nicht übelnehme, - was mir Gould aber sicher auch nicht übelgenommen hätte…): "Atemberaubend" ist ein Adjektiv, das man mit diesen frühen Aufnahmen der Beethoven-Klaviersonaten Buchbinders assoziieren kann, aber auch schlicht: "schön".Die Addenda in der CD-Kassette, "kleine" Klavierwerke Beethovens, - meist frühe Werke aus Bonn und Werke ohne Opuszahl, auch einige wenige apokryphe Werke -, beanspruchen die anderen 50 Prozent der CD-Anzahl in dieser Ausgabe, also 8 CDs mit jeder Menge äußerst vieler beinahe nie gespielter/gehörter Beethoven-(Solo-Klavier-)Werke, und die sind natürlich extremst brillant vorgetragen. Falls jemand Buchbinders Beethoven-Klaviersonatenaufnahme verabscheuen sollte, kann der sich mit diesen seltenen Pretiosen der Kompositionen Beethovens trösten: Schon diese allein rechtfertigen den Erwerb der Kassette.